DIE SCHWESTERN DES BÖSEN (1972)
„Getrennt bei der Geburt – vereint im Wahnsinn.“
Bevor Brian De Palma in den 70ern und 80ern mit Filmen wie Carrie, Dressed to Kill oder Blow Out zum Suspense-Master avancierte, legte er mit Sisters – oder wie er hierzulande so schön heißt: Die Schwestern des Bösen – einen dreckigen, verstörenden und stilistisch bereits höchst raffinierten Psychohorror vor.
Ein Film, der Hitchcock ehrt, Polanski streift und gleichzeitig De Palmas Handschrift mit Zooms, Splitscreens und identitätszersetzender Paranoia tief einprägt.
Worum geht’s?
Die hübsche kanadische Model-Schauspielerin Danielle Breton (Margot Kidder, noch vor ihrer Superman-Zeit) scheint harmlos – bis ihr Liebhaber nach einer durchzechten Nacht auf äußerst brutale Weise abgestochen wird.
Die Nachbarin, Journalistin Grace (Jennifer Salt), beobachtet das Blutbad – aber die Polizei reagiert wie üblich in 70s-Horrorfilmen: Nichts gesehen, nichts gehört.
Grace beginnt zu ermitteln und entdeckt dabei eine schockierende Verbindung zu Danielles Zwillingsschwester Dominique – und zu einem medizinisch-ethischen Experiment, das besser nie stattgefunden hätte.
Margot Kidder – zerrissen, hypnotisch, gefährlich
Kidder liefert eine der faszinierendsten Performances ihrer Karriere.
Sie wechselt nahtlos zwischen naiv-verführerisch, kindlich-verstört und eiskalt-psychopathisch – und sorgt dafür, dass man nie weiß, wer gerade die Kontrolle hat: Danielle oder Dominique? Oder beide? Oder keine?
De Palma nutzt ihr ausländisches Englisch gezielt, um sie noch undurchschaubarer wirken zu lassen. Eine brillante Entscheidung.
Jennifer Salt – zwischen Neugier und Wahnsinn
Salt gibt die Gegenfigur zur zerbrechenden Danielle: rational, neugierig, investigativ. Doch im Laufe des Films zerfrisst auch sie der Wahnsinn – ein kluges Spiel mit Identitätsverschiebung und Zuschauerwahrnehmung, das De Palma später perfektionieren sollte.
Inszenierung – Splitscreen, Suspense & Bernard Herrmann
Was Sisters schon 1972 zu einem kleinen Meisterwerk macht:
- Splitscreen-Technik: De Palma nutzt sie hier erstmals konsequent – z. B. bei einer Parallelmontage von Tatort & Polizeieintreffen. Grandios.
- Kameraarbeit: Düstere Gänge, Weitwinkel-Überwachungsperspektiven, voyeuristisches Sehen – ganz klar eine Verneigung vor Hitchcock (Psycho und Rear Window lassen grüßen).
- Musik: Kein Geringerer als Bernard Herrmann (Hitchcocks Komponist) steuert einen herrlich nervenzerfetzenden Score bei. Jaulende Streicher, dissonante Klänge, alles sitzt wie ein Skalpell an der falschen Stelle.
Fun Facts & Hintergründe
Der Film wurde mit einem Mini-Budget von nur ca. 500.000 Dollar realisiert – was man ihm kaum anmerkt.
Der angeblich „auf wahren Ereignissen basierende“ Fall ist eine Erfindung De Palmas – aber clever vermarktet.
Ursprünglich sollte Sissy Spacek die Rolle der Danielle spielen – bevor sie für Carrie gecastet wurde.
Der deutsche Titel Die Schwestern des Bösen wirkt trashiger, als der Film eigentlich ist – hat dem VHS-Ruf aber sicher geholfen.
Quentin Tarantino bezeichnete den Film in Interviews als einen seiner größten De-Palma-Favoriten.
Kritik & Einordnung
Sisters ist ein Film, der sich zwischen Exploitation, Giallo, Psychodrama und Thriller bewegt – und dabei nie aus der Balance gerät. Er ist nicht laut, aber packend. Nicht übertrieben blutig, aber verstörend. Und vor allem: stilistisch seiner Zeit voraus.
Wer De Palma kennt, erkennt hier schon all seine Trademarks im Entstehen: das Spiel mit Identität, die Kontrolle über den Zuschauerblick, die Faszination für Gewalt als filmischer Akt – und das alles in 93 Minuten, kompakt, effektiv, erschreckend gut.
Fazit: Zwillingshorror mit Split-Persönlichkeit
Die Schwestern des Bösen ist ein Psychohorrorfilm mit Substanz, Stil und Sogwirkung.
Er ist intelligent, perfide inszeniert und beängstigend zeitlos in seiner Frage nach Identität, Trauma und Kontrolle.
Retro-Bewertung: 8,5 von 10 chirurgischen Skalpellen – für ein Frühwerk, das die Saat für das spätere De-Palma-Kino legte.